„ ...daß rechts sei, was doch links ist.“

Über Hans Bunges „Kopfüber“ (2003)

Die Projekt-Skizze Hans Bunges sieht eine temporäre Installation im Innenraum von Sankt Peter in Köln vor. Kopfüber

144 diagonal verlegte Stahlbleche mit einer Kantenlänge von 50 cm bilden eine spiegelnde Fläche, die sich mit einer Breite von etwa 3 Metern und einer Länge von 20 Metern durch das Mittelschiff bis vor den Altar zieht. Der Kirchenbesucher bewegt sich auf der Grenzfläche zwischen dem sich über ihm erhebenden Gewölbe und der gespiegelten Wiederholung, die sich unter ihm auftut. Durch den ungewohnten Blickwinkel entsteht eine unwillkürliche Aufmerksamkeit für die Architektur des Kirchenraumes und der unruhigen Geschichte seiner baulichen Zerstörungen und Restaurierungen. Die zwischen den Platten gelassenen Fugen mit den Aussparungen in den Schnittpunkten reproduzieren dabei die Struktur des ehemaligen Netzgewölbes im Mittelschiff der Kirche, das heute durch eine Holzdecke ersetzt worden ist. Zugleich verweist das Bodennetz auf die Herkunft des Fischers Petrus, dem Kirchenpatron der Gemeinde. Während der Begehung geraten so nicht nur die räumlichen Dimensionen des romanisch-gotischen Kirchenbaues auf neue Weise ins Bewusstsein, auch seine architektonische Entwicklung wird diachronisch reflektiert und eine Verbindung zur Petrusgeschichte geschaffen.

Die Persönlichkeit des Fischers Petrus und die Apostelgeschichte werden in der Installation vielschichtig reflektiert. Der Eindruck einer spiegelnden Wasseroberfläche verweist auf die Herkunft Petri und die Schlüsselszene seiner Berufung zum Apostel durch Jesus. Die sukzessive Entwicklung Petri zum Begründer der christlichen Gemeinde – zum Fels, auf dem die Ekklesia ihre Basis fand – wiederholt sich in der zunehmenden Abnutzung und Stumpfwerdung der Stahlplatten. So wird der durch die Spiegel symbolisch aufgelöste Kirchengrund durch den stetigen Besuch der Gemeindemitglieder nach und nach wieder materialisiert.Kopfüber

Die Geschichte der Kirche Sankt Peter ist seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eng mit dem Gemälde der Kreuzigung Petri des dort getauften Peter Paul Rubens verbunden. 1640 als Auftragsarbeit fertiggestellt, spielte das Altarbild von da ab eine zentrale Rolle für die Bedeutung der Pfarrgemeinde: Zunächst als identitätsstiftendes Patronatsbild, später in steigendem Maße als Mittel, um durch entgeltliche Präsentation die Finanzen der Gemeinde aufzubessern. Heute hat das Gemälde zu seinem ursprünglichen räumlichen und semantischen Zusammenhang über dem Altar zurückgefunden. Das von Rubens gewählte Thema verbildlicht den Moment der Hinrichtung des Apostels, der sich der ‚Legenda Aurea’ zufolge kopfüber kreuzigen ließ:

„Christus, der vom Himmel auf die Erde kam, ward am aufrechten Kreuze erhöht; ich aber bin gewürdiget, von der Erde zu kommen nach dem Himmel [...]. Also, da ich unwürdig bin, am Kreuze zu hängen wie mein Herr ist gehangen, so kehret das Kreuz um und kreuziget mich, das Haupt nach unten.“

Dieses Gemälde gerät schließlich vor dem Altar in das Reflexionsfeld der Installation.

In der spiegelbildlichen Wiederholung des Kreuzigungsbildes erscheint das Petrusmartyrium als Abbild göttlicher Erlösung: Nicht mehr kopfüber, die Augen zur Erde, sondern aufrecht steht Petrus nun am Kreuz und blickt aus dem Bildraum hinaus in den Spiegelhimmel. Wie ein Taucher, der sich nur noch vom Kreuz seines irdischen Daseins befreien muss, strebt er mit ausgebreiteten Armen der Wasseroberfläche zu.

Auf einzigartige Weise verbindet Hans Bunges’ Installation die Architekturgeschichte des Ortes mit seinen ikonographischen und religionsgeschichtlichen Einschreibungen. In besonderem Maße findet sich die Figur des Kirchenpatrons und seine Darstellung im Rubensgemälde reflektiert. Durch die Spiegelung der ‚Kreuzigung Petri’ entwickelt Hans Bunge aus dem barocken Bildprogramm einen Verweis auf die Heilsgeschichte: Mit der Wiederaufrichtung Petri vollziehen sich die zentralen christlichen Motive von Umkehr, Erlösung und Nachfolge Christi für die gesamte Christengemeinde.

In der ‚Legenda Aurea’ heißt es im letzten Gebet des gekreuzigten Petrus:

„ (...) wir sind Kinder Adams, des Haupt zur Erde gebeugt war; sein Fall wird damit bezeichnet, wie der Mensch geboren wird: denn wir werden geboren, daß wir kopfüber auf die Erde werden gestoßen. Und ist unser Wesen also verwandelt, daß die Welt meinet, daß rechts sei, was doch links ist. [...] Ich danke Dir mit allem meinem Geist, damit ich lebe, verstehe und anrufe.“

+++ Adrian Rudershausen

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