Die Diskussion um die Bedeutung der Architektur im Kontext von Kunstausstellungen ist nicht neu. Bereits in den 60er Jahren begann mit der programmatischen Hinterfragung des tradierten Kunstbegriffes auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsraum, der als abgetrennter Inkubationsraum die Kunst in eine zunehmende Selbstbezüglichkeit trieb.
„Die ideale Galerie hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, dass es „Kunst“ ist, stören könnten. Sie schirmt das Werk von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt. Dies verleiht dem Raum eine gesteigerte Präsenz (...).“
Die Kunst der 80er Jahre suchte der bestimmenden Präsenz und Enge des selbstreferentiellen Kunstraumes durch die Flucht in den öffentlichen Raum zu entkommen. Kunst fand in Privatwohnungen, leerstehenden Fabrikhallen oder gleich auf der Strasse statt. In profanen Umgebungen, deren Alltäglichkeit weit von all dem entfernt war, was mit sinnstiftenden Räumlichkeiten von Museen und Galerien zu tun hatte, trat die Kunst in Auseinandersetzung mit den Bedingungen ihrer eigenen institutionellen Definition.
Die Integration der Kunst in den öffentlichen Raum kann heute, zumindest formell, als erfolgreich angesehen werden: Sie findet sich in Schalterhallen, Wartezimmern und Bibliotheken. Dass diese Entwicklung zuweilen in die Annahme einer Beliebigkeit des Ausstellungsortes zu münden droht, zeigt Hans Bunges Installation „Vom Drinnen im Draußen“ im Gebäude der Volkshochschule Essen.
Der am zentralen Burgplatz neu errichtete Glaskubus repräsentiert durch seine architektonische Gestaltung ein modernes, offenes Bildungskonzept. Die vollverglasten Außenflächen lassen den ungehinderten Blick von außen hinein und von innen hinaus zu. Die Transparenz des Gebäudes kennzeichnet die Institution Volkshochschule als eine weltoffene, für jedermann zugängliche demokratische Einrichtung. Bildung will hier nichts Elitäres, Ausgrenzendes mehr sein, sondern ein einladendes, Gemeinsamkeit und Austausch stiftendes Moment der modernen Gesellschaft. Dass an einem solchen Ort auch Kunst Einzug hält, scheint nur folgerichtig.
In einem eigenen Bereich der weitläufigen Eingangshalle sollen Ausstellungen das offene Bildungsverständnis der Einrichtung begleiten und unterstützen. Die hier entstandene ‚Neue Galerie’ ist geprägt von den besonderen Eigenschaften des Gebäudes: Zwei Wände werden durch die verglaste Außenfassade des Gebäudes gebildet, eine dritte Seite öffnet sich in das etwas tiefer liegende Foyer mit Anmelde- und Informationstresen. Die vierte Seite, die einzig geschlossene Wandfläche des Ausstellungsraumes, hat Hans Bunge als Ort für seine Installation gewählt.
Mittels vier gehängter Fensterrahmen durchbricht Hans Bunge optisch auch diese letzte verbleibende Fläche. Halbhohe weiße Gardinen erwecken inmitten des betont öffentlichen Raumes einen Eindruck von wohnzimmerlicher Privatheit. Wären hier tatsächlich Fenster vorhanden, könnte der Besucher durch das Visier der Gardinen das Treiben auf der anderen Seite der Wand beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden. Statt Fensterscheiben hat Hans Bunge jedoch Spiegel in die Rahmen gesetzt. Der vermeintliche Blick nach Draußen wird zurückgeworfen. Assoziationen von Verhörzimmern mit verspiegelten Scheiben werden wach. In die angenehme Atmosphäre des Durch- und Überblickes mischt sich der Eindruck des Überwachtwerdens.
„Angst einflößende finstere Ecken wird es nicht mehr geben“, heißt es im Pressetext der Volkshochschule über die Wirkung des neuen Gebäudes. Bunges Spiegelfenster und die verhängenden Gardinen verfinstern diese lichte Transparenz und schaffen eine Verborgenheit inmitten ungehinderter Aussicht. Die Ambivalenz des gläsernen Raumes wird deutlich: Die freie Aussicht wird zur Einsehbarkeit; die freundliche Transparenz des Raumes gerät zum Panoptikum möglicher Überwachung. Der Beobachter wird (sich) selbst zum Objekt der Beobachtung.
Soweit folgt Bunges Installation dem künstlerischen Konzept, das sich auch in anderen seiner installativen Arbeiten findet: Der Betrachter wird mit gespiegelten Raumdopplungen konfrontiert, die in einem komplexen Spiel Bildraum, Ausstellungsort und Betrachterposition miteinander in Beziehung setzen. In der Eingangshalle der Volkshochschule tritt jedoch noch etwas anderes in den Vordergrund: Im Bildraum des Spiegels zeigt sich die gläserne Entgrenzung des Ausstellungsraumes. Der Blick über die Gardine wird nicht nur in den Raum zurückgeworfen, er dringt ungehindert durch die Glasfassaden hinaus und findet erst an den umliegenden Gebäuden wieder Halt. Wo ist hier Drinnen, wo ist Draußen? Wodurch fasst sich der Ort, an dem die Kunst hier versucht, sich zu positionieren?
Hans Bunge begann noch vor der Fertigstellung des Gebäudes anhand der Architekturpläne seine Arbeit zu konzipieren. Der Ausstellungsraum wird hier selbst zum Thema der künstlerischen Arbeit, die Verortung im Eingangsbereich des Glaskubus wird zum Ausgangspunkt einer kritischen Reflexion über die vorgefundenen architektonischen Bedingungen. Die Installation hebt die Besonderheit des als gläsernes Foyer konstruierten Raumes hervor: Er will kein Raum sein. Dem Architekturkonzept liegt gerade der Gedanke zugrunde, durch das Fallen der Schranken zwischen Innen- und Außenraum eine Transparenz zu schaffen, die die Grenzen zwischen drinnen und draußen, zwischen Bildung und Leben aufhebt. Mit diesen Grenzen fällt allerdings auch die Eigenschaft, die den Innenraum definiert: seine deutliche Abgrenzung zum Außen. Das Foyer der Volkshochschule ist so im räumlichen wie optischen Sinne ein Transitbereich, eine Schleuse im Wechsel zwischen Innen und Außen. Das mag als Architekturkonzept der Volkshochschule zu einer offenen und freundlichen Atmosphäre führen, als Ausstellungsort birgt diese unentschiedene Raumsituation jedoch ein Problem: In der Durchdringung von Innen und Außen fehlt die Eindeutigkeit des Ortes, in dem sich Kunst und Rezipienten positionieren müssen. Nur durch die gezielte Reaktion auf die räumliche Situation vermag Hans Bunge den Betrachter so zu irritieren, dass aus dem bloßen Passieren des Raumes ein reflektierendes Innehalten wird.
Hans Bunges Installation weist auf mehreren Ebenen auf die spezifische Problematik hin, die dieser Ausstellungsort mit sich bringt. Zu der Irritation des Betrachters durch die bedrohliche Umkehrung der Raumsituation kommt die Reflexion über die Thematik des Zusammenhangs zwischen Kunst und ihrem Ausstellungsort. Das hier vor Augen geführte Wechselspiel zwischen Kunst und dem sie umgebenden Raum ist keines, das sich im kuratorischen Kontext einfach übergehen ließe. Die Kunst vermag selbst in völlig kunstfremder Umgebung den vorgefundenen Raum zu transformieren, um sich ihren eigenen ästhetischen Kontext im Wechselspiel mit dem Ort ihrer Präsentation zu schaffen. Hans Bunge zeigt hier jedoch auf subtile Weise, dass an diesem Ort, der mit aller Kraft seine eigene Präsenz zurückzunehmen sucht, die Möglichkeiten eines Zusammenspiel zwischen Kunst und Raum stark eingeschränkt sind. Die Transparenz der Architektur führt zu der paradoxen Situation, dass der Raum gerade durch seine Zurücknahme die ausgestellte Kunst in hohem Maße beeinflusst und eine Positionierung fordert. Dies sollte bei künftigen Ausstellungskonzepten berücksichtigt werden und sei es, indem man sich dieser besonderen Gegebenheiten bewusst wird und aus der architektonischen Herausforderung ein kuratorisches Programm macht.
Brian O’Doherty: In der weißen Zelle. Inside the White Cube.
Berlin: Merve Verlag, 1996, S. 9