Wie ein auseinandergenommenes Fotoalbum treten uns die Motive der Arbeit "Waltraut II’ gegenüber. Von Spinnenseide verdeckt, sind kleinformatige Kontaktabzüge von Schwarz-Weiß-Fotografien zu erkennen. Wie in einer camera obscura stehen die Motive auf dem Kopf, als wären sie die seitenverkehrte Projektion einer jenseits der Wand liegenden Szenerie. Der die Motive umgebende schwarze Fotokarton suggeriert die dunkle Abgeschiedenheit eines Guckkastens, den Dunkelkammer-Blick des Fotografen.
Hebt man nach und nach die Schleier über den Fotografien, zeigen sich private erotische Aufnahmen aus den Fünfziger Jahren. Ein notdürftig mit Decken verhängtes Wohnzimmer bildet die Studiokulisse, vor dem eine junge Frau sich aufreizend ihrer Kleidung entledigt. Einige Blumen auf einem beigestellten Nachtschränkchen betrachten mehr oder weniger interessiert die Szene. Es entblättert sich uns beinahe klischeehaft eine erotische Bildsequenz. Der ungestörte Blick auf den Striptease wird dabei jedoch in fast ärgerlichem Maße durch den ungewohnten Kopfstand der Aufnahmen erschwert.
Die Motive sind offenbar in der Reihenfolge ihrer Negativnummern geordnet und man sollte annehmen, dass sich der erotische Spannungsbogen entsprechend steigert. Immer wieder jedoch wird die sukzessive Entkleidung durchbrochen: Négligés werden aus- und wieder angezogen, Büstenhalter verschwinden und tauchen wieder auf, weiße Rüschen verwandeln sich in schwarze Spitze. Darüberhinaus fehlen einige Aufnahmen und lassen eine schwarze Leere klaffen, was zu weiteren Spekulationen anregt: Wurden die fehlenden Negative aus technischen Gründen aussortiert, oder zeigen sie gar Szenen, die aufgrund ihrer erotischen Brisanz aus der Reihe entfernt wurden?
Der Betrachter, sofern denn durch solche Bilder angeregt, sieht sich trotz aller Widrigkeiten in einen voyeuristischen Bann versetzt. Das unvermeidliche letzte Bild – das ja gewöhnlich für das interessanteste, weil textilärmste gehalten wird – wird mit steigender Erwartung angesteuert.
Ist der vermeintliche Klimax jedoch endlich erreicht, sehen wir uns Unerwartetem gegenüber: Die eben noch für uns an ihren Strümpfen nestelnde Frau sitzt nun vollständig bekleidet und mit keusch geschlossenen Knien auf einem Hocker, umarmt von ihrem Gatten und uns entgegen lachend.
Eben noch Herr der Situation und im Gefühl, gewissermaßen am Drücker zu sein, sehen wir uns nun in der Position des gehörnten Dritten. Nicht wir waren es, die am Auslöser standen: Die vermeintlich für uns veranstaltete Peepshow erweist sich als vergangenes Ereignis, an dem wir nicht teilhatten, aus dem wir uns ausgegrenzt sehen. In unserer voyeuristischen Verborgenheit ertappt uns die Reflexion des eigenen Gesichtes im Glas des Bildträgers.