Teehaus Requiem

Hans Bunge und Bernhard Brzeski szenieren ein Requiem für ein altes Teehaus


Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten wurden Besucher der Villa Wendland während der 20. Kulturellen Landpartie 2009 Teilhaber eines Requiems für das 90 Jahre alte unrettbar verfallene Teehaus.

Teehaus im Wendland

Requiem für ein Teehaus

Wer sich durch den Garten der Villa der kleinen Ruine näherte hörte, ausgelöst durch einen Bewegungsmelder, Kinderstimmen, die Textfragmente des Requiems von Johannes Brahms sprechen, unterlegt von Musik von Astor Piazzolla, die er anläßlich des Todes seines Vaters komponiert hatte: „Wir haben hier keine bleibende Statt – eine neue suchen wir“, „Wie herrlich sind deine Stätten“, „Ich will euch trösten“, „und alles Fleisch ist wie Gras“.

Angelockt von den Kinderstimmen aus dem Teehaus sehen die Besucher durch fehlende Glasscheiben im Innerem des Pavillons in kristallin zerlegten Spiegeln sich selbst und vielfältig gebrochen die abgestürzte Decke, Teile des offenen Daches und die sich aus dem Lot neigenden Wände. Der Verfall wird optisch potenziert und ins Dramatische gesteigert.

Bezüge zum Kubismus werden „augen-fällig“, Lyonel Feininger wird unverzichtbarer Begleiter.

Material, Oberfläche, Form und Farbe lösen sich unaufhaltsam auf, Holz re-naturiert sich selbst und wird zur Grundlage für neues Leben für Insekten und andere Kleintiere, denn alles Gras wird (wieder) zu „Fleisch“. Der natürliche Kreislauf Schließt sich, das macht Hoffnung ...

Da hängen für Kinder Tee-Patronen wie Weihnachtskugeln in Büschen vor dem Teehaus, gefüllt mit Jasmin-Tee oder mit Wildkirsche aromatisiert, für die Großen sind in dem Lindenbaum über dem Teehaus Dufträume installiert mit Early Gray , Lapsang Souchong und Vanille .Extra für dieses Projekt ist von der Hamburger Tee-Export-Import-Firma JPS ein spezieller Tee mit Aroma von Anis und Quitte gemischt, der auf Wunsch für die Besucher bereitet wird.

Und als wären in dem Pavillon noch Gäste zum Tee wie damals, hört und sieht man in einer Klanginstallation sechs Teelöffel vom Winde bewegt in sechs Teetassen rühren, jede Tasse mit einem eigenen Klang.

Diesem Angebot an die fünf Sinne ist ein weiterer hinzugefügt:

Ein kleines, sechseckiges Glas, welches die Architekturform des Teehauses aufnimmt, beinhaltet nicht nur einen Teelöffel voll der speziellen Tee-Mischung,

ein herunter gefaltetes DIN A 4 Blatt mit vielfältigen Hinweisen zu den Absichten der Installation, sondern auch grünes Licht,

eingefangen durch die grünen Oberlichtscheiben des Teehauses selbst. Um das zu sehen braucht man allerdings einen sechsten Sinn. Den haben Kinder sowieso und die Großen sollten ihre Vorstellungskraft wiederbeleben wenn sie verschüttet war .....

Schließlich gibt es noch Grund für eine weitere Dimension dieses Projektes:

In einem Abstand von 5 Metern sind vor den Eingang des Teehauses an einen Tor aus Kupferrohr zwei Fahnen angebracht, auf denen die Ab-Bilder die beiden Türflügel aufgebracht sind.. Je nach Sonnenstand wechseln Innen- und Außenleben des Teehauses und bewegen sich im Wind als wären das Wesen des Teehauses schon in eine andere Welt transformiert.

Hans Bunge und Bernhard Brzeski haben für dieses Projekt in einem neun Monate dauernden Prozeß unterschiedliche Stufen durchlaufen: Bei insgesamt 5 Begegnungen vor Ort einschließlich eines Wochenendes mit Übernachtung in der Villa bei Inga Grasnik haben sie den fortlaufenden Verfall des Pavillons dokumentiert. In einer Projektskizze wurde die komplexe Reichweite des Teehauses erfaßt. Sie beschäftigten sich mit der Form der Totenmesse, um das Profil ihres eigenen Requiems davon abzuheben. In einer ausführlichen Analyse zerlegten die beiden Installateure einzelne Elemente des Teehauses, um sie schließlich in ihrer Szenierung wieder neu zu konstruieren. Schließlich entwickelten sie Formen der Präsentation, die die Besucher als unverzichtbare Teilhaber einbindet.

Während ihrer Realisierungsphase wurde die beiden Konstrukteure begleitet von Karin Hirdina mit ihrem Buch „Pathos der Sachlichkeit (Traditionen materialistischer Ästhetik), Berlin 1981. Dort schreibt sie auf Seite 44: „Elementarisierung war angestrebt als Verständigungsgrundlage zwischen Produzenten und Konsumenten. Elementarismus kennzeichnet so als grundlegendes Merkmal den Konstruktivismus nicht als Stil sondern vor allem als Programm und Methode.“ Weiterhin zitiert sie (die) ...“von Paul Klee formulierte(n) Aufgabe, das Innere der Dinge zu sezieren „Der Gegenstand erweitert sich über seine Erscheinung hinaus durch unser Wissen um sein Inneres. Durch das Wissen, daß das Ding mehr ist, als seine Außenseite zu erkennen gibt. Der Mensch seziert das Ding und veranschaulicht sein Inneres an Schnittflächen .... Das ist die sichtbare Verinnerlichung, teils durch die Mittel eines einfach scharfen Messers, teils mit Hilfe feinerer Instrumente, welche die materielle Struktur oder materielle Funktion klar vor Augen zu bringen vermögen“ (Paul Klee in „Staatliches Bauhaus Weimar 1919 – 1923, Weimar, München o.J. S. 24)“.

Hans Hidebrandt gab wesentliche Hinweise zum Werk Lyonel Feinger in seinem Handbuch der Kunstwissenschaft „Die Kunst des XIX. und XX. Jahrhunderts, Potsdam 1924, S. 383 ff:

„...Lyonel Feininger ... stand lange zwischen Expressionisten und Kubisten und ist heute den Konstruktivisten nicht allzu fern. ....Der Vierziger (...) entfaltet sich zum Maler eines neuen Architektur-Sehens. (....) Er wirft sich auf die Enträtselung und Deutung des einmaligen Lebens, das jeder Bau, jede Bautengruppe, jedes Dorf und jede Stadt erfüllt, herrührend von den Menschen, deren Werk sie sind, wie von jenen, die in ihnen hausen, doch mählich losgelöst und zu Eigensinn erwacht. (...) Das Feininger nur seine Begegnungen mit Baupersönlichkeiten malt, hat der Mensch in seinem Werke keinen Platz und die Frage nach äußerer „Ähnlichkeit“ wird belanglos.Mit ihr nicht selten die Statik, deren völlige Verneinung (...) mitunter beängstigend wirkte. (...) Feiningers Darstellungsmittel reichen von der kristallinen Struktur über alle Zwischenstufen bis zum gänzlichen Formenzerfall und entdecken jeder Bauindividualität einen mittöneden Farbklang“.


Angeregt durch einen Artikel in der Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 3.6.09 über die Installation

besuchten neben auswärtigen Gästen auch viele Nachbarn die Teehaus-Ruine und haben mit sachlichen Informationen die Geschichte um das Teehaus weiter angereichert. Ein Höhepunkt war schließlich die Begegnung mit der 1911 geborenen Frau Linda Meyer,

die kaum 8 Jahre alt war, als die damalige Frau des Grubendirektors des Kalibergwerkes „Wendland“ Frau Busch sie zu sich in die Villa und in das Teehaus einlud. Ein langes Gespräch mit Frau Meyer ist am Pfingstmontag aufgezeichnet, ebenso vieles anderes Bildmaterial, welches als Film das ganze Projekt dokumentieren wird. Die Herstellung eines Buches ist geplant. Mit allen anderen verdinglichten Spuren wie Spiegel, Teepatronen, Fahnen und Teelöffel-Klang-Körper soll das Projekt an anderer Stelle wieder „aufgeführt“ werden.

 


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