Ein Postkartensatz mit Musterfrisuren der Fünfziger Jahre. Damen recken steif ihre Hinterköpfe ins Bild und präsentieren ondulierte Haarmode. Schlanke Hälse, dezenter Schmuck und geraffte Blusen verstärken den Eindruck einer längst vergangenen Zeit und Mode. Zunächst scheint es sich bei dieser Frisuren-Galerie bloß um einen skurrilen Flohmarktfund zu handeln, der an den wunderlichen Chic der Fünfziger mit seinen Weiblichkeitsklischees erinnert.
Hans Bunge inszeniert die Motive jedoch in einer Weise, die sich einer solch einschichtigen Zuordnung widersetzt. Auf Träger montiert ragen die Postkarten in den Raum hinein. Sie wenden uns ihren Rücken zu, auf dem leere Adressfelder und der Stempel des Fotostudios zu sehen sind. Die Frisurendamen zeigen sich lediglich in einem dahinter angebrachten Spiegel.
Spiegelbilder von frisierten Hinterköpfen kennen wir vom eigenen Friseurbesuch, wenn die finale Kontrolle des Haarschnitts über den hinter uns geschwenkten Rundspiegel erfolgt. Aber durch welchen Spiegel und in wessen Spiegelbild blicken wir hier? Wessen Blick ist es, der hier auf die Hinterköpfe fällt? Unsere eigener, der des damaligen Fotografen, oder der des sich erinnernden Künstlers Hans Bunge? Und wohin blicken eigentlich die Damen auf den Karten? Es scheint, als würde unsere eigene Wahrnehmung von einer ganzen Reihe von weiteren Perspektiven hinterrücks durchkreuzt.
Wie auch in anderen Arbeiten Hans Bunges sehen wir uns in einem Spiegelkabinett gefangen, in einem Spiel der räumlichen und zeitlichen, der eigenen und fremden Perspektive. Der Einsatz des Spiegels verstärkt dabei den Eindruck des Uneindeutigen und Irrealen. Einerseits bezieht der Spiegel unsere Gegenwart mit in das Bild ein, andererseits wird unser Blick durch die Rückansichten zurückgehalten und grenzt uns aus dem Geschehen aus. Gerade durch die vielschichtige Reflexion der Karten-Objekte wird so mehr verborgen als offenbart. Gegenwart und Geschichte, realer Raum und virtuelles Spiegelbild, subjektive Assoziation und historisches Bild vermischen sich zu einem kaum zu entwirrenden, gleichzeitigen Ganzen.
Es scheint nicht ganz zufällig, dass der Rückblick auf die Fünfziger Jahre dabei durch den ebenfalls zurück gerichteten Blick der Frauen weiter verlängert wird. In Walter Benjamins ‚Über den Begriff der Geschichte’ findet sich eine Beschreibung des Engels der Geschichte, der der Zukunft den Rücken zukehrt und auf das Trümmerfeld der Vergangenheit blickt. Der Sturm des Fortschritts bläst ihm entgegen. Unfähig, einen verweilenden Blick auf das gerade Geschehene zu werfen, wird er unaufhaltsam rückwärts in die Zukunft getrieben. Die Frisurenmodelle entpuppen sich so als Spiegelungen unserer eigenen, vielfach reflektierten Rücksicht in das Kaleidoskop der Geschichte.